Von gruppe demontage, Januar
2000
In
„Aufstand der Stämme“ (KONKRET 12/99) entwarf Jürgen Elsässer ein Szenario,
welches sich in vier Hauptthesen zusammenfassen läßt: 1. Der entfesselte
Kapitalismus ist in der Krise und frißt seine Kinder, die Nationalstaaten. 2.
Der Hauptwiderspruch verläuft heute zwischen zivilisierten Staatsbürgernationen
und barbarischen Blutsvölkern. 3. Die Rudimente der Anti-Hitler-Koalition in
den Staatsbürgernationen USA, Britannien und Russland sind unsere
Bündnispartner. 4. Mit ihnen sollten die modernen Staatsbürgernationen
verteidigt werden. Allen vier Behauptungen soll hier widersprochen werden.
Elsässer ist nicht der einzige Linke, der mit seiner
Kritik an Deutschland bei einem „Plädoyer für die Verteidigung der modernen
Nationen“ endet. Er ist allerdings einer der wenigen, denen vorgeworfen wird,
ihre Artikel seien „durchsetzt von rassistisch eingefärbten Stereotypen“ und
einem „ressentimentgeladenen Ton“. Weil wir nicht glauben, daß bei seinen Kritikern
eine „veritable Begriffsverwirrung“ (KONKRET-Editorial 12/99) vorherrscht,
sondern vor allem bei Elsässer selbst, halten wir eine Begriffsklärung und
inhaltliche Entgegnung für notwendig.
Beispielsweise erscheinen bei Elsässer Nationen als
natürliche Einheiten. Zwar werden sie an einer Stelle als Konstrukt benannt;
vorherrschend ist allerdings ein naturalisierendes Verständnis von Nation:
„Leidenschaften vermeintlich 'unterdrückter Völker' bewirkten (...)
Erschütterungen“, deutsche Völkische haben „balkanische Zwillinge“, die als
„erwachende Nationen“ aus ihren Betten steigen, um die Reaktion zu
unterstützen. Dann lassen sich 'unterdrückte Völker' zur Expansion „ermuntern“.
Sie tragen die „Weste der ‚selbstbestimmten Völker‘“, aber unter psychiatrischer
Aufsicht einer Staatsbürgernation sollten sie dennoch stehen.
Es steht außer Frage, daß es
einen Unterschied gibt zwischen „Staatsbürgernationen“ und „Blutsvölkern“
hinsichtlich ihrer Vergesellschaftungsbedingungen. Durch seine idealisierende
und naturalisierende Unterscheidung in zwei Nationenformen übersieht Elsässer
aber, daß sich das Herrschaftsverhältnis nationale Formierung in
unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen auch verschieden ausdrückt.
Die Übergänge von Blutsvolk zu Staatsvolk sind fließend, beides sind
gewaltförmig konstruierte, vorgestellte Gemeinschaften, die auf dem
kapitalistischen Weltmarkt miteinander in Konkurrenz stehen. Wenn Elsässer aber
die Unterscheidung in Blutsvölker und Staatsbürgernationen nicht mehr als
unterschiedliche Ausformungen ein und derselben Sache begreift, sondern sie als
Gegensatz aufbaut („Staatsbürgernation ist (...) wenigstens ein Konstrukt (...)
Das Blutsvolk aber ist (...) ein Hirngespinst ohne jede materielle Realität“),
geht ihm das wesentliche durch die Lappen: Jede Behauptung von Nation und Volk
dient – neben der sozialen Unterordnung - der Legitimation, warum trotz der vom
Kapitalismus theoretisch behaupteten Gleichheit aller Menschen es in der Praxis
soziale Ungleichheit gibt.
Gerade die Hierachisierung
in „zurückgebliebene“ und „weiterentwickelte“ Völker ist eine häufig bemühte
Erklärung für Marginalisierung oder Überausbeutungsverhältnisse.
Selbstverständlich läßt sich immer eine nationale Gemeinsamkeit oder auch
Unterscheidung behaupten. „Keine Nation (das heißt kein Nationalstaat) besitzt
eine ethnische Basis, was bedeutet, daß der Nationalismus nicht als ein
Ethnozentrismus definiert werden kann, es sei denn genau im Sinne der Schaffung
einer fiktiven Ethnizität.“(Balibar) Jeder Staat schafft sich zur Legitimation
eine vorgestellte nationale Gemeinschaft, die durch Vereinheitlichung der
Sprache, der Institutionen und Medien etc. dann auch zur materiellen Realität
wird. Eine wesentliche Voraussetzung zur Konstruktion von Identitäten jeder Art
ist aber: Es muß ein ausgrenzbares Gegenüber von als anders Definierten geben.
Eine Nation kann es nur geben, wenn eine scheinbare Gemeinsamkeit durch die
Grenzziehung gegenüber einer zweiten Nation möglich ist: Da die Grenzziehungen
und Zuschreibungen von Völkern variabel sind, können kapitalistische
Verhältnisse unter veränderten Bedingungen mit veränderten Volksdefinitionen
erneut legitimiert werden. „Kapitalismus als historisches System erfordert
nicht nur die fortwährende Ungleichheit, sondern auch die fortwährende
Neuformierung ökonomischer Prozesse“ (Wallerstein). Jugoslawien ist hierfür nur
das bekannteste Beispiel.
Viele antideutsche Linke
haben während der NATO-Angriffe eine unkritische Solidarität mit Jugoslawien
ausgedrückt, ohne die enormen gesellschaftlichen Veränderungen der letzten
Jahre zu reflektieren. Auch Elsässer irrt, wenn er heute das Bild der
Staatsbürgernation in bezug auf Jugoslawien noch aufrecht erhält. Dieses galt
nur für die Ära des Staatssozialismus von 1945 - 89 und auch diese Periode ist
durch Brüche gekennzeichnet. Als Milosovic 1989 auf dem Amselfeld vor knapp
einer Million Menschen - einige mit Tschetnik-Fähnlein ausgestattet in
freundlicher Unterstützung der orthodoxen Kirche - an die Bedeutung der sich
zum 600. Mal jährenden Niederlage gegen die Türken erinnerte und eine
Verknüpfung zur heutigen Zeit halluzinierte, war zumindest mit den
fortschrittlicheren antifaschistischen Gründungsmythen der sozialistischen Phase
gebrochen. Diese hatten sich unter der Führung Titos im Partisanenkrieg gegen
die Deutschen im 2. Weltkrieg begründet. Die Massenbasis der KP Jugoslawiens
stand auf drei Grundpfeilern: Der Feindschaft zu Deutschland, der
Modernisierung unter sozialistischen Vorzeichen und die Gegnerschaft im eigenen
Land zu Ustascha und Tschetnik. Dieser wesentliche Punkt wurde von Elsässer
1995 in einem Kommentar in der "jungen Welt" und darauf basierend in
einem Flugblatt der "Bahamas"-Redaktion zum Krieg 1999 mit der Überschrift
"Nasdravlje Partizani i Cetnici!" komplett ignoriert. Wenn man jedoch
aus einem kommunistischen Verständnis heraus Sympathien mit dem sozialistischen
Jugoslawien hegt, ist genau diese Abgrenzung wichtig, zumal die Tschetniks
zeitweise mit der Deutschen Wehrmacht gegen die Partisanen gekämpft haben.
Der Wandel des Staatsbürgerverständnisses hin zu
ethnischen Zwangsgemeinschaften läßt sich exemplarisch im Kosovo aufzeigen.
Seit Anfang 1990 wurden in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen des Kosovo
ethnisch definierte Albaner per Gesetz, zum Teil auch gewalttätig von der
Belgrader Zentrale aus den Verwaltungen und Betrieben hinausgeworfen und durch
Menschen aus dem jugoslawischen Kernland ersetzt. Die Energieversorgung, eines
der ökonomischen Herzstücke des Kosovo, wurde umgehend unter militärische
Verwaltung gestellt und damit erstmals in der jugoslawischen Geschichte die
Arbeiterselbstverwaltung eines größeren Betriebes weggeputscht. Dieser
Hintergrund einer gewissen Zwangsethnisierung läßt eine mehrdeutige
Interpretation der aktuellen Entwicklung zu. Zweifelsfrei bedarf das
völkisch-seperatistische Auftreten der UCK vehementer Kritik. Darüber hinaus
spielt aber auch die Ebene sozialer Ausgrenzung eine wichtige Rolle. Während
der NATO-Angriffe war das mit am längsten umkämpfte Gebiet zwischen
Jugoslawischer Volksarmee und UCK im Kosovo die Mine Trepca. Hier hatten noch
1989 mehr als 20.000 überwiegend albanische Bergarbeiter mit Tito-Bildern und
jugoslawischen Fahnen gegen die rassistische Ausgrenzung und für bürgerliche
Rechte wie im ehemaligen Jugoslawien demonstriert. Da die meisten der
albanischen Bergarbeiter im Laufe der 90er Jahre durch Arbeiter aus dem
jugoslawischen Kernland ersetzt wurden, kämpften sie im Dress der UCK 42 Tage
lang um die Mine. Sicher haben sie dabei - und das ist zu kritisieren - das
völkische Label der UCK mitgekauft. Es war aber auch ein Kampf gegen ihre
soziale Ausgrenzung.
Mit
seinem Bemühen, einen bündnisfähigen Begriff von Staatsbürgernation zu
schaffen, akzeptiert Elsässer einen positiven Bezug auf Nationalstaaten. Eine
solche Sichtweise schafft beispielsweise Anknüpfungspunkte für einen
linksbürgerlichen Pseudo-Anti-Nationalismus, der sich vor der unmittelbaren
Gewaltförmigkeit von nationalistischen Bewegungen in ärmeren Staaten der
Peripherie oder separatistischen Bewegungen in Westeuropa abgrenzt, der aber
die zivilisierte Form staatlicher Gewaltausübung begrüßt. Erinnert sei
beispielsweise an die Todesschwadrone GAL gegen die ETA in den 80er Jahren in
Spanien oder an den Deutschen Herbst 1977, als offen über die Erschießung von
RAF-Gefangenen diskutiert wurde.
Ein Ende der Nationalstaaten heraufzubeschwören, war
bis jetzt in der Linken das zweifelhafte Verdienst derjenigen, die viel von
Globalisierung und Neoliberalismus reden, um vom Kapitalismus zu schweigen –
und die eine Revival des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates aus Zeiten des
Fordismus fordern. Elsässer kommt in seinem Artikel zur selben Schlußfolgerung
wie große Teile der Bewegung gegen das Weltinvestitionsabkommen MAI: „Der
entfesselte Kapitalismus frißt seine Kinder, die von ihm in der
Entstehungsphase generierten Nationalstaaten.“
Daraus wird dann ein realpolitischer Ansatz
abgeleitet. Zum einen stellt sich grundsätzlich die Frage, warum sich die
wenigen antinationalen, radikalen Linken den Kopf der Regierungen zerbrechen
sollten, wie der Nationalstaat zu stärken und optimal zu regulieren sei. Zum
zweiten sind Elsässers angestrebte Bündnispartner für vieles bekannt, nur nicht
für linksradikale Politik: „Noch gibt es in den Staatsbürgernationen Rudimente
der Anti-Hitler-Koalition. Die Enkel von Stalin, De Gaulle und Churchill (...)
opponierten (...) vergleichsweise stark gegen die NATO-Angriffe auf
Jugoslawien.“ Es fällt auf, daß Elsässer wieder vergißt, auf die konkreten
gesellschaftlichen Bedingungen zu schauen. Sonst hätte er merken müssen, daß
seine Bündnispartner nur eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind in der Opposition
und spielen die Rolle der Regierung im Wartestand. Die Grünen wären auch gegen
den Krieg gewesen, wenn sie nicht bereits an den Futtertrögen der
Regierungsmacht angekommen wären. Die aufgezählten Parteien sind allesamt
Beispiele dafür, wie Blutsvölkisches und Staatsbürgerliches zusammen,
nebeneinander und voneinander existiert – in einem politischen Milieu.
Die
russischen Nationalkommunisten: Ein Zitat aus dem Buch „Ich glaube an Russland“
vom KP-Chef Sjuganow: „Die jüdische Diaspora kontrolliert traditionell das
Finanzlebens des Kontinents und wird jeden Tag mehr zur hauptsächlichen
Inspirationskraft des westlichen sozio-ökonomischen Systems.“ Sjuganows Berater
Prochanow erklärte bereits 1992 bei der Gründung der Front der Nationalen
Rettung, nun seien die Roten und die Weißen gemeinsam für die russische Nation:
„Beide seien nun vereint im Kampf gegen den ‚Mondialismus und Kosmopolitismus‘,
gegen den amerikanischen Kapitalismus, gegen den ‚sozialen, nationalen und
geopolitischen Verrat von Jeltzin und Gorbatschow‘.“
Die
französischen Gaullisten: Zum Beispiel der französischen General a. D. Pierre
Gallois. Er war gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien und hat die Petition „Nein
zum Krieg“ unterschrieben – zusammen mit Alain de Benoist, dem Vordenker der
‚Neuen Rechten‘ und zwei Mitarbeitern der neofaschistischen Zeitschrift
Identité. Einige andere zogen ihre Unterschrift zurück, als sie den
neofaschistischen Dunstkreis bemerkten – Gallois nicht.
Gerade die linken Debatten der vergangenen Monate in
der BRD haben die Notwendigkeit gezeigt, nicht nur irgendwie antinational,
sondern explizit antideutsch zu sein. Aber wie in anderen Politikbereichen wird
die Sache falsch, wenn sie als Ein-Punkt-Politik und nicht als eine Facette
begriffen wird. Antideutsche Politik ist nur in Verbindung mit antinationalen
Positionen sinnvoll. Es kann nur darum gehen, Deutschland und seine nationale
Formierung zu bekämpfen, nicht aber im Bündnis mit Partnern, die schon allein
deshalb recht sind, weil sie gegen Deutschland sind. Eine solche Politik birgt
immer die Gefahr einer antideutschen Realpolitik, die deshalb Zugeständnisse
macht, weil‘s gegen Deutschland geht. Diese Form bürgerlicher antideutscher
Realpolitik hat mit linksradikaler Politik nichts zu tun.