Kein Aufstand beim Stamm der Antideutschen

Von gruppe demontage, Januar 2000

 

Jürgen Elsässers Artikel „Aufstand der Stämme“ (KONKRET 12/99) ist ein „Plädoyer für die Verteidigung der modernen Nationen“. Seine Hauptthesen lauten: 1. Der entfesselte Kapitalismus ist in der Krise und frißt seine Kinder, die Nationalstaaten. 2. Der Hauptwiderspruch verläuft zwischen zivilisierten Staatsbürgernationen und barbarischen Blutsvölkern. 3. Bündnispartner seien folglich die Reste der Anti-Hitler-Koalition in den USA, Britannien und Russland. 4. Mit ihnen sollten die modernen Staatsbürgernationen verteidigt werden. Allen vier Behauptungen haben wir in konkret 1/2000 widersprochen. „Aufstand der Stämme“ ist die Bekräftigung von Elsässers Artikel „Albanische Wirtschaft“ aus konkret 9/99, in welchem er sich zustimmend auf einen Artikel im Spiegel (31/99) stützte, der gespickt war mit rassistischen Stereotypen und Ressentiments. Elsässer ist nicht der einzige Linke, der die Kosovo-AlbanerInnen als personifiziertes Feindbild in Rest-Jugoslawien entdeckt hat. Udo Wolter hat den unkritischen Umgang Elsässers mit rassistischen Ressentiments in der jungle world 38/99 zu Recht kritisiert.

            Hier geht es uns um drei Aspekte, die als Weiterführung unserer Kritik an Elsässers Argumentation zu lesen sind: Im ersten Teil gehen wir auf die Dialektik von Staatsbürgernationen und nationalen Bewegungen ein und verdeutlichen dies am Beispiel Jugoslawiens. Der zweite Teil ist nicht allein eine Kritik an Elsässers Engels-Rezeption, sondern auch eine Kritik an einer fehlenden materialistischen Gesellschaftsanalyse, die in der Linken zunehmend aus der Mode kommt. Abschließemd kritisieren wir Ansätze antideutscher Realpolitik und skizzieren einige Gedanken für eine linksradikale Perspektive. Udo Wolter beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem Verhältnis Staatsbürgernation und völkischer Nationalismus in der Türkei.

Vorgestellte Gemeinschaft versus volunté générale

Wir begreifen Nation mit Benedict Anderson als eine „vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist sie deswegen, weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“ Aus der Sicht Elsässers dagegen ist Nation „die Gesamtheit derer, die unabhängig von Herkunft, Sprache, Religion und Kultur nach gemeinsamen Idealen in einem gemeinsamen Staat leben wollen – ein politisches Konstrukt auf der Grundlage des Volunté générale.“ Grundsätzlich ist Vorsicht angebracht gegenüber einem den sozialen Verhältnissen entrückten Idealismus des gemeinsamen Wollens. Entscheidend ist aber, daß Elsässer in seinen Beispielen die Gründungsmythen, mit denen sich die jeweiligen bürgerlichen Staaten selbst legitimieren, als wahr annimmt: In der französischen Republik gab es nach 1789 zwar eine kurze Phase, in der Bürger werden konnte, wer wollte – und bereit war, im Krieg gegen Österreich mitzukämpfen. Aber erstens war es damit bald vorbei, und zweitens galt die allgemeine Gleichheit nicht in den Kolonien und auch nicht für Frauen. In der Sowjetunion hat in der Gründungsphase mehr der Krieg gegen die Weißen und die Interventionsarmeen interessiert als eine Debatte um „moderne Nation“.

Dieser verklärte Blick auf Nation zieht weitere Fehleinschätzungen nach sich. Die Zuschreibungen an ethnisierte Gruppen werden bei Elsässer essentialistisch, das prozeßhafte, dynamische geht verloren. Diese Zuschreibungen werden durch Herrschaft, Dominanz und Ausgrenzung bestimmt, sie können durch Emanzipation infrage gestellt und in seine sozialen Verhältnisse zerlegt werden. Elsässer argumentiert aber so, als ob Ethnien oder Völker etwas wesenhaftes seien: „Was sie [die Alliierten] allerdings zu Gegnern der Nazis werden ließ, war der multiethnische Charakter ihrer Staaten: Hitlers Plädoyer für das ‚Selbstbestimmungsrecht der Völker‘ hätte als Sprengsatz für ihre ‚Völkergefängnisse‘ gewirkt.“ Elsässer dreht hier den negativ belegten Ausdruck „Völkergefängnis“ einfach ins Positive um – dann wird multiethnisch draus. Daß aber die Aufteilung in viele Ethnien der grundlegende Charakter dieser Staaten sei, steht für ihn offensichtlich außer Frage. Und das Selbstbestimmungsrecht wäre dann quasi als Selbstläufer ein Sprengsatz.

Der positive Charakter der Staaten der Alliierten macht sich für Elsässer vor allem an einem Satz fest: „Staatsbürger kann jeder werden, und vor dem Gesetz sind alle gleich.“ Im Gegenteil aber basiert etwa die US-Gesellschaft auf die Staatsbürgernation konstituierenden Ausgrenzungen. Die Bandbreite geht dabei von sogenannten Chicanos und Schwarzen, die rassistischer Diskriminierung unterliegen, aber immerhin US-StaatsbürgerInnen sind, bis hin zu ArbeitsmigrantInnen ohne Papiere und Flüchtlingen aus Lateinamerika und Asien.

Staatsbürgernationen und Blutsvölker

Elsässer muß die Gründungsmythen der bürgerlichen Staaten als wahr annehmen, weil sonst die von ihm aufgemachte Dichotomie nicht funktioniert. Da Elsässer Blutsvölker und Staatsbürgernationen nicht als unterschiedliche Ausformungen ein und derselben Sache begreift, sondern sie als Gegensatz aufbaut („Staatsbürgernation ist (...) wenigstens ein Konstrukt (...) Das Blutsvolk aber ist (...) ein Hirngespinst ohne jede materielle Realität“), geht ihm das wesentliche durch die Lappen: Gerade die Hierachisierung in „zurückgebliebene“ und „weiterentwickelte“ Völker ist eine häufig bemühte Erklärung für Marginalisierung und Überausbeutungsverhältnisse.

Nationale und ethnische oder völkische Zuschreibungen basieren grundsätzlich auf Grenzziehung und der Ausgrenzung von Fremden. Dabei können sich die kulturellen Inhalte im Lauf der Zeit völlig verändern. So haben sich in den letzten hundert Jahren etwa die Definitionen für das Baskisch-Sein in Spanien inhaltlich stark verändert. Entscheidend für die heutige Wirkungsmächtigkeit der Zuordnungen BaskIn oder SpanierIn war die Franco-Diktatur. In der einen großen Nation Spanien durfte es keine nicht-nationalspanischen Äußerungen oder Ideologien geben. Ohne diese staatliche Diskriminierungspolitik wäre aber die heutige Form der Selbstethnisierung im Baskenland nicht denkbar. Die Herausbildung von sogenannten Minderheitennationalismen kann daher nicht kritisch analysiert werden, ohne das Konstrukt der staatlichen Mehrheitsnation und die wechselseitige Dialektik zwischen beiden einzubeziehen.

Jugoslawien: Von Titos Staatsbürgernation zum Kosovokrieg

In Jugoslawien diente in den letzten Jahrzehnten die zuletzt offen gewaltförmige Schaffung von Nationen dazu, die neuen gesellschaftlichen Bedingungen zu legitimieren. Gerade weil Jugoslawien aber nach der Befreiung versucht hatte, mit dem Kapitalismus zu brechen und die Bedeutung von nationaler Zuordnung zurückzudrängen, ist die von Elsässer implizierte Gleichsetzung des heutigen kapitalistischen Rest-Jugoslawiens mit dem sozialistischen Ansatz, für den Tito steht, falsch.

Noch während des Krieges, 1943, verabschiedete der von der KP dominierte Antifaschistische Rat folgenden Beschluß über die zukünftige föderale Struktur Jugoslawiens: „Um das Prinzip der Souveränität Jugoslawiens zu verwirklichen (...) um niemals mehr zur Domäne irgendeiner Hegemonialclique zu werden, soll und wird Jugoslawien auf dem föderativen Prinzip aufgebaut werden, was die volle Gleichberechtigung (...) der Nationen Serbiens, Kroatiens, Sloveniens, Mazedoniens, Montenegros und Bosniens und Herzegovinas garantieren wird.“ Tito wollte keine genauere Definition dessen, was unter jugoslawisch zu verstehen sei, weil er eine serbische Dominanz befürchtete. Diese zumindest formal-bürgerliche Gleichheit war in der Tat ein Fortschritt gegenüber der Zeit vor 1945, aber auch der nach 1989, zumal unter der Berücksichtigung, daß Antisemitismus im Gegensatz zu vielen anderen sozialistischen Staaten keine besondere Rolle spielte.

Wegweisend für die Entwicklung Jugoslawiens war 1950 der Bruch mit Stalin. Anstatt einer rigiden Planwirtschaft entstand die sogenannte Arbeiterselbstverwaltung, die den ProduzentInnen selbst Entscheidungen über die Produktion zugestand, aber den Markt nicht aufhob, was zu einer Konkurrenz der ArbeiterInnen führte. Mit den ersten Krisenerscheinungen des Fordismus Ende der sechziger Jahre zeigte auch Jugoslawien erste Zerfallserscheinungen. Der reichere Nordwesten mit Kroatien und Slowenien - beide waren bereits vor dem Krieg stärker industrialisiert bzw. nahmen mehr Devisen über den Tourismus ein - wollten nicht mehr wie bislang mit dem ärmeren Süden teilen. Die jugoslawische Führung reagierte auf die aufkommende Renationalisierung, indem sie mehrmals die Verfassung änderte, entscheidend 1974, als faktisch das Außenhandelsmonopol an die Teilrepubliken abgegeben wurde. Die vorhandene soziale Krise wurde nicht auf die internen und über den Weltmarkt vermittelten externen Probleme zurückgeführt, sondern in nationalen Ressentiments kaschiert. Es entstand die fast einmalige Situation, daß sich ein Staatsapparat selbst entmächtigte und eine bis dahin meist ideologisch geführte Debatte über das nationale Selbstverständnis praktisch wurde, weil in den Teilrepubliken, gerade im Nordwesten, die Kommunen und Betriebe vom Ausspielen der nationalen Karte profitierten. Hier liegt die Grundlage der jugoslawischen Krise seit den 80er Jahren. Tito konnte als Integrationsfigur das Land noch bis zu seinem Tod zusammenhalten, doch das fordistische Modell kam mehr und mehr in die Krise. Jugoslawien konnte das Außenhandelsdefizit nicht mehr ausgleichen und war 1981 gezwungen, dem IWF beizutreten. Damit brach die Grundlage der Staatsbürgernation Jugoslawien endgültig zusammen.

Enver Hoxha ist tot, es lebe der freie Markt

Anfang der 80er Jahre entwickelten sich aus den Protesten gegen rassistische Ausgrenzung und Benachteiligung im Kosovo maoistische Studierendengruppen, die in den 90er Jahren zur Grundlage der UÇK wurden. Bei aller Kritik an der Selbstethnisierung zur kosovarischen Nation darf allerdings nicht übersehen werden, daß damit eine Ethnisierung seitens der Dominanzkultur und der Belgrader Staatsapparate einherging.

Die UÇK hat die sich ihr bietende Gelegenheit wahrgenommen und sich der NATO angedient. Damit einher gingen weitreichende Säuberungen innerhalb der UÇK, um deren Struktur auf die NATO-Interessen zuzuschneiden. Bekanntestes Beispiel ist die Entmachtung des Flügels um Adem Demaci im Januar 1999, der gegen eine Teilnahme an Rambouillet war, durch die jungen Politmanager um Hashim Thaci, der in der Schweiz Politik studiert hatte. Aus einer maoistischen Guerrilla wurde in kurzer Zeit ein bewaffneter Arm zuerst des BND, dann der CIA.

Enver Hoxha ist tot, es lebe der freie Markt! Im Gegensatz zur gängigen Lesart, die auch von Elsässer vertreten wird, die UÇK sei archaisch und dem rassistischen Konstrukt einer kosovarischen, rückständigen Clan-und-Blutsgemeinschaft entsprungen, ist gerade die rassistische Brutalität der UÇK Ausdruck ihrer Modernität und ihrer Anpassung an die „westlichen Wertvorstellungen“: Was die UÇK im Kosovo im Beisein der KFOR/NATO an Terror gegen als Minderheiten ausgrenzbare Menschengruppen durchführt, entspringt dem Bestreben, eine Bevölkerungsstruktur, ein Territorium und eine Armee für einen Nationalstaat zu schaffen, wie er durch die westeuropäischen Nationalstaaten definiert und wie er für ein Agieren auf dem Weltmarkt notwendig ist. Die Zeit der Staatenbildung ist aber in Europa weitestgehend abgeschlossen. Dies befördert jedoch die aggressive Zurichtung des beanspruchten Territoriums durch die UÇK eher noch, um die Kriterien für einen eigenen Nationalstaat zu erfüllen.

Elsässers „Aufstand der Stämme“ entpuppt sich also bei näherem Hinsehen nicht als Aufstand der barbarischen Blutsvölker gegen die verteidigungswürdigen Staatsnationen, sondern als Ergebnis von deren eigener Politik.

Elsässer spricht mit Engelszungen

Elsässer hat sich für seinen Artikel in konkret von zwei Zeitungsartikeln von Friedrich Engels anregen lassen, die er gleich mehrfach zitiert: „Der magyarische Kampf“ und „Der demokratische Panslawismus“ ( beide MEW Band 6)[i]. Die Artikel wurden Anfang 1849 unter dem Eindruck der Niederschlagung der 48er-Revolution geschrieben. Die konterevolutionären Kriege nach 1848 wurden unter dem Label der Nationen gegeneinander ausgetragen. Engels fragte sich, was wir uns auch fragen: „Woher kommt diese Scheidung nach Nationen, welche Tatsachen liegen ihr zugrunde?“ Seine Antwort ist mager: „Diese Scheidung entspricht der ganzen bisherigen Geschichte der fraglichen Stämme.“ (MEW 6: 168). Nationen gibt’s, weil‘s vorher Stämme gab.

Engels unkritisches Verhältnis zur Nation in diesen Artikeln zeigt sich etwa an einer Stelle, für die bei Elsässer Auslassungszeichen im Zitat zu Österreichs Kamarilla stehen: „Resumieren wir: In Österreich, abgesehen von Polen und Italien, haben die Deutschen und die Magyaren im Jahr 1848, wie seit tausend Jahren schon, die geschichtliche Initiative übernommen. Sie vertreten die Revolution.“(MEW 6 : 173). Engels Hauptkritik geht in „Der magyarische Kampf“ gegen den Panslawismus, der ohne Zweifel wie der Pangermanismus und die anderen Pan-Bewegungen reaktionär war. Dabei unterläuft ihm ein Mißgeschick, das wir bei Elsässer bereits kritisiert haben - er bedient sich bürgerlicher Ideologien: „In der Wirklichkeit haben alle diese Völker die verschiedensten Zivilisationsstufen, von der (durch Deutsche) auf einen ziemlich hohen Grad entwickelten modernen Industrie und Bildung Böhmens bis herab zu der fast nomadischen Barbarei der Kroaten und Bulgaren, und in der Wirklichkeit haben alle diese Nationen daher die entgegengesetzten Interessen.“ (MEW 6: 171). Engels beendet diesen Artikel damit, daß es ein Fortschritt sei, daß der nächste Weltkrieg „ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden“ lassen werde. (MEW 6: 176). Sind der Evolutionismus und unkritische Fortschrittsglaube bei Engels vor 150 Jahren in seinen Artikeln als Widerspiegelung der damals herrschenden Ideologien dechiffrierbar, so ist dies bei Elsässer nicht so einfach. Für einen modernen Kommunismus läßt sich mit Buchstabengläubigkeit und einer Ikonisierung Engels jedenfalls nichts erreichen, eine historisch-materialistische Analyse taugt dazu mehr. Im zweiten Artikel „Der demokratische Panslawismus“ läßt Engels die Zivilisation hochleben, so auch den Krieg der USA gegen Mexiko 1845-1848: „Oder ist es etwa ein Unglück, daß das herrliche Kalifornien den faulen Mexikanern entrissen ist, die nichts damit zu machen wußten?“(MEW 6: 273). Und später: „Die Deutschen haben im Norden das ehemals deutsche, später slawische Gebiet von der Elbe bis zur Warthe den Slawen wieder aberobert (...) Daß diese Eroberung aber im Interesse der Zivilisation lag, ist bisher noch nie bestritten worden.“(MEW 6: 278). Da müssten Elsässer doch eigentlich die Haare zu Berge stehen.

Es geht uns überhaupt nicht um eine Abwendung von Marx und Engels. Eine kritische Auseinandersetzung mit Texten wie den beiden zitierten kann sehr hilfreich sein bei der Demontage bürgerlicher Ideologien und rassistischer Versatzstücke in linken Debatten. Auch für Marx war zivilisierte Staatsnation versus barbarisches Blutsvolk ein untaugliches Gegensatzpaares: „Die tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heimat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen.“(MEW 9: 225). Karl Marx war Befürworter der antikolonialen Befreiung Irlands. Dabei leitete ihn die Einsicht, daß koloniale Ausbeutungsstrukturen auch die Revolution in den Metropolen erschweren. So hat es nichts mit eingebildeter Sympathie für ein vorgestelltes Volk zu tun, sondern vielmehr mit einer Gegnerschaft zu Ausbeutung und Kapitalismus, für ein Ende des Kolonialismus – oder heute des Neokolonialismus zu sein: „Die spezielle Aufgabe des Zentralrates in London (ist es), das Bewußtsein in der englischen Arbeiterklasse wachzurufen, daß die nationale Emanzipation Irlands für sie keine question of abstract justice ist, sondern the first condition of their own social emancipation“(MEW 1: 669).

            Wie ist es möglich, als radikaler Linker fünf Seiten lang in einer Zeitschrift wie konkret nicht einen Satz über Ausbeutung, Marginalisierung und kapitalistischen Weltmarkt zu schreiben, wenn es um Nationen und Nationalstaaten geht? Für eine Analyse dieser Verhältnisse bedarf es eines Instrumentariums, das Klassenfragmentierungen auf nationaler und internationaler Ebene zu bestimmen in der Lage ist. Auf Klassen kommt Elsässer allerdings nur einmal zu sprechen, als er die Losung aus dem Kommunistischen Manifest für die Diskussion in der Komintern zitiert. Statt zweifelhafte Ideologiekritik zu betreiben hätte es sich für Elsässer gelohnt, die Grundlagen materialistischer Gesellschaftsanalyse nachzulesen.

Antideutsche Realpolitik

„Der entfesselte Kapitalismus frißt seine Kinder, die von ihm in der Entstehungsphase generierten Nationalstaaten“, lautet eine der Hauptthesen in Elsässers Szenario. Diese Sichtweise ignoriert nicht nur die Tatsache, daß sich im Postfordismus zwar die Funktion von Nationalstaaten verändert, diese selbst aber weiterhin von Bedeutung sein werden. Eine solche Sichtweise schafft beispielsweise auch Anknüpfungspunkte für einen linksbürgerlichen Pseudo-Anti-Nationalismus, der sich vor der unmittelbaren Gewaltförmigkeit von nationalistischen Bewegungen in ärmeren Staaten der Peripherie oder separatistischen Bewegungen in Westeuropa abgrenzt, der aber die zivilisierte Form staatlicher Gewaltausübung begrüßt. Bei Elsässers realpolitischem Ansatz stellt sich grundsätzlich die Frage, warum sich die wenigen antinationalen, radikalen Linken den Kopf der Regierungen zerbrechen sollten, wie der Nationalstaat zu stärken und optimal zu regulieren sei.

Elsässers angestrebte politische Bündnispartner sind für vieles bekannt, nur nicht für linksradikale Politik: „Noch gibt es in den Staatsbürgernationen Rudimente der Anti-Hitler-Koalition. Die Enkel von Stalin, De Gaulle und Churchill (...) opponierten (...) vergleichsweise stark gegen die NATO-Angriffe auf Jugoslawien.“ Es fällt auf, daß Elsässer wieder vergißt, auf die konkreten gesellschaftlichen Bedingungen zu schauen. Sonst hätte er merken müssen, daß seine Bündnispartner nur eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind in der Opposition und spielen die Rolle der Regierung im Wartestand. Die Grünen wären auch gegen den Krieg gewesen, wenn sie nicht bereits an den Futtertrögen der Regierungsmacht angekommen wären.

Bei den russischen Nationalkommunisten bilden Ideologien von Blutsvolk oder Staatsbürger eine Gemengelage. Da behauptet der Duma-Funktionär der KP Viktor Iljuchin, Jelzin habe mit den Juden in seinem Büro einen Völkermord am russischen Volk begangen. Wenn der KP-Vorsitzende Sjuganow das „Volk“ vor der „Zionisierung der russischen Regierungsbehörden“ warnt – ist das nun staatsbürgerlich oder blutsvölkisch? Nachzulesen ist dies in der jungle world 2/99 – in Jean Cremets Artikel „Zionistisches Kapital“[ii].

Ein beispielhafter französischer Gaullist ist der General a. D. Pierre Gallois. Er ist sicher für Elsässer ein naheliegender Bündnispartner, hat er doch zu Hans-Rüdiger Minows antideutschem Buch „Von Krieg zu Krieg“ das Vorwort beigesteuert, das auch in der 3. überarbeiteten Auflage noch zu lesen ist. Gallois Buch Adieux aux Armées wurde 1976 intensiv in der Militärzeitschrift der französischen ‚Neuen Rechten‘ diskutiert. Alain de Benoist machte für seine Zeitschrift Krisis ein langes Interview mit ihm.[iii] 1982 ist Gallois Gründungsmitglied des Institut international de géopolitique. Außerdem dabei: Sammuel Huntington (Der Erfinder vom >Clash of Civilisations<), der ehemalige US-Sicherheitsberater Brzezinski, ex-US-Kriegsminister Schlesinger, ex-US-Stabschef Moorer und aus der BRD der neofaschistische Professor und General August Freiherr von der Heyte[iv].

Elsässer bereitet mit seinen unüberlegten Umarmungen all derjenigen, die in anderen Ländern was gegen Deutschland sagen, antideutschen Realpolitikern den Boden. Eine solche Politik birgt immer die Gefahr, Zugeständnisse zu machen, weil‘s gegen Deutschland geht. Diese Form bürgerlicher antideutscher Realpolitik, wo sich Linke wie Diplomaten benehmen und  sich einbilden, staatsmännisch gegen Deutschland handeln zu können, ist exemplarisch bei Hans-Rüdiger Minow nachzulesen. Wer gerne Formulierungen wie „rassische Desintegration ethnischer Prägung“, „fremdes Territorium“, „ethnische Konflikte“ oder „Urgrund moderner Nationalstaaten“ liest, ist bei Minow gut aufgehoben.[v]

Elsässer rezensierte Minows Buch „Von Krieg zu Krieg“ zustimmend in konkret 12/99. Minow verbindet seine Kritik an der völkisch-orientierten Außenpolitik Deutschlands immer wieder mit einem Bekenntnis zu den westeuropäischen Nationalstaaten wie Frankreich und Britannien. Diese antideutsche Staatsmännlichkeit basiert auf der Einbildung von Einfluß und Macht. Diese Selbstüberschätzung ignoriert, daß die radikale Linke in diesem Land gegenwärtig keinerlei Machtposition besitzt.

Kosmospolitischer Kommunismus

Wer in Frankreich die „grande nation“ feiert, in Britannien den „Union Jack“ oder in Spanien den „Dia de la raza y la hispanidad“, kämpft nicht zwangsläufig für Befreiung, sondern bestenfalls gegen Deutschland. Das kann nützlich sein, aber die Vorstellung eines Bündnisses mit französischen Gaullisten gegen Deutschland läßt schnell die Beschränktheit erahnen, die eine solche antideutsche Aktionseinheit hätte. Es wird in Zukunft noch eine Reihe von nationalistischen, ethnisierten Konflikten geben, bei denen radikale Linke nahezu ohnmächtig daneben stehen und sich auf die Waffe der Kritik werden stützen müssen. Linke Politik ist gegenwärtig nur als anti-herrschaftliche Politik, also jenseits der institutionellen Spielregeln möglich. Das bedeutet aber auch, daß radikale Linke nicht auf Bündnisse mit anderen Nationen oder konkurrierenden Nationalstaaten setzen können.

Für uns liegt eine Perspektive linksradikaler Politik in dem, was wir kommunistischen Kosmopolitismus nennen. Dieser Begriff trägt eine innere Spannung in sich. Um es mit der gruppe Venceremos zu sagen: „Für das Bedürfnis nach nationaler Identifikation ist der Begriff des Kosmopolitismus ein Unding, etwas Unerträgliches. Kosmopolitismus dient als Kampfbegriff. In seiner Ablehnung finden sich nationale Linke und Rechte vereinigt. Von rechts ist der Begriff des Kosmopolitismus explizit antisemitisch besetzt: Er beinhaltet die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung, er markiert die paranoide Angst vor dem raffenden Kapital (...). In der stalinistischen Periode der Sowjetunion setzte ebenfalls eine Kampagne gegen Kosmopolitismus und Zionismus ein (...). Und auch heute noch werden die rot-braunen Bündnisse in manchen Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas vom gemeinsamen Feindbild des Kosmopolitismus gespeist.“ [vi]

            Antideutsche und antiherrschaftliche Politik gehören zusammen:

Eine solche Politik wendet sich einerseits gegen ein Mitspielen in den institutionellen Sandkästen der kapitalistischen Regulation mit seinen autoritär-patriarchalen, fortschrittsgläubigen und rassistischen Formen von Vergesellschaftung und orientiert auf eine umfassende soziale Befreiung – deshalb der Bezugspunkt Kommunismus! Sie wendet sich andererseits gegen jede Art von traditionskommunistisch verkleideten Volkstümeleien und nationalstaatlichen Identitätsmustern und einem sich auf antisemitische Stereotypen stützenden verkürzten Antikapitalismus - deshalb der Bezugspunkt Kosmopolitismus!

Wenn antideutsche Politik nur noch als eindimensionaler, alles entscheidender Hauptwiderspruch verstanden wird, liegt der Schritt zur Realpolitik nahe. Das kann für uns kein ernstzunehmender Ansatz für linke Politik sein.

 

 



[i] Zum den Artikeln zugrunde liegenden Konflikt Marx/Engels kontra Bakunin siehe: Theo Bruns: Eine Rose für Bakunin, in: a&k 432, 11/99.

[ii] Mehr von Jean Cremet dazu: Für eine Allianz der ‚Roten‘ und ‚Weißen‘, in: Cremet/Krebs/Speit: Jenseits des Nationalismus, Unrast 1999.

[iii] De Benoist war gegen den NATO-Krieg, weil er die Gefahr eines neuen Sezessionismus wie Kosovo in der Bretagne und auf Korsika sieht: „Man stelle sich vor, diese beiden Regionen beabsichtigen eine Sezession. Wäre es in diesem Fall denkbar, daß die französische Regierung ein Eingreifen der NATO in Brest oder Ajaccio hinnehmen würde, um die Unterdrückung eines Aufstands zu verhindern, der die nationale Einheit gefährdet?“ (zit.n. Peter Nowak: Antikriegskurs, in: Blick nach rechts, 8/99).

[iv] Jean Cremet: Leserbrief, in: Der Rechte Rand Nr. 47, 7-8/97.

[v] Hans-Rüdiger Minow: Völker hören Signale, in: Blätter des iz3w 238, Juli 1999. In der konkret erschien der gleiche Artikel in der 5/99 in einer sprachlich redigierten Fassung, in der „rassisch“ nicht mehr enthalten war.

[vi] Einleitendes Referat der gruppe Venceremos zur Veranstaltung mit gruppe demontage am 10.11.98.