Von Gaston Kirsche (gruppe demontage), Juli
1999
Auf dem antinationalen Forum „Last Exit Nation“ am 4. Juni in Köln im Rahmen der Proteste gegen den EU-Gipfel, auf dem der Diktatfrieden gegen Jugoslawien festgezurrt wurde, war der Themenblock zum NATO-Krieg der bestbesuchteste. Es gab eine Diskussion zum Umgang mit serbischem Nationalismus bei den Anti-Kriegs-Protesten. Der folgende Text ist aus dieser Diskussion heraus entstanden und greift einiges daraus auf.
Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien seit dem 24. März 1999 hat in der Linken Versatzstücke von antinationalen Analysen populärer gemacht – weil die entsprechende Kritik der deutschen Destabilisierungs- und Ethnisierungspolitik seit Jahren betrieben wird.
Gleichzeitig wurden Versatzstücke antinationaler Kritik an Jugoslawien als antiserbische Positionen zum Bestandteil des Diskurses der Kriegsbefürwortung gemacht. Aber ähnlich wie im ersten Jugoslawienkrieg um Bosnien wurde auch hier eine linke Analyse nicht dadurch falsch, daß Bruchstücke und Reizwörter aus ihr für den herrschenden Diskurs umdefiniert und benutzt wurden: Die Patriarchatskritik an sexualisierter Gewalt besonders im Krieg ist nicht falsch, weil die KriegsbefürworterInnen von Völkermord, Vergewaltigung, Vertreibung sprachen, um eigene Gewalt zu rechtfertigen. Aber genauso wie die Kritik an sexualisierter Gewalt antipatriarchal sein muß, muß Kritik an den nationalistischen Kriegsparteien in Jugoslawien antideutsch unterfüttert sein, um nicht für die deutsche Kriegspropaganda nutzbar zu sein. Gerade bei den Debatten in der Linken in der BRD hat sich so die Notwendigkeit gezeigt, nicht nur allgemein antinational, sondern explizit antideutsch zu sein. Es ist verständlich, das sich unter traditionalistischen Linken dagegen Unmut und Abwehr regt. Zumal ganz in der schlechten Tradition der Friedensbewegung „argumentiert“ wurde: Mit nationalistischem Lamentieren über die deutschen Opfer der Bombardements der Alliierten gegen Nazideutschland gegen den NATO-Krieg. So tauchten im Mai in Dresden Aufkleber mit der Parole „Dresdener wissen, was Bombardierung ziviler Ziele bedeutet“ auf.
Auch die junge Welt ließ sich die Gelegenheit, sich wiederholt als Zentralorgan einer nicht nur autoritär-staatsfixierten, sondern ebenso nationalorientierten Linken zu gerieren, nicht entgehen. Um so wichtiger ist es, die verschiedenen antideutschen Argumentationen in der Kritik weiterzuentwickeln.
Anders als im Golfkrieg 91 waren sich antiimperialistisch wie antideutsch argumentierende Linke in der Gegnerschaft zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien vordergründig einig. Bei mehreren Demos in Hamburg wurde ein Transparent getragen, auf dem Jugoslawien in seine Teilrepubliken zerteilt ist und sieben Hände nach den Stücken greifen – auf ihren Ärmeln die Länderkürzel F, I, USA, BRD, RUS, GB und TR. Das Motive fand sich auch auf Flugblättern, mit denen „zum internationalen antiimperialistischen Block“ mobilisiert wurde. Wenn sich antideutsche GrafikerInnen daran versucht hätten, wäre die Hand wohl eine Faust gewesen a lá Jugoslawien zerschlagen. Dies würde die Realität der Destabilisierung mithilfe der von der BRD gepushten nationalen Karte veranschaulichen, im Gegensatz zur Verharmlosung der BRD neben der Türkischen Republik (TR) als gleich starke imperialistische Konkurrenz um Einflußsphären. Trotzdem könnte es eine Gemeinsamkeit geben: Die Reduzierung des Auseinanderbrechens der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien auf die direkte äußere Einmischung.
Die erste große Anti-Kriegs-Veranstaltung in Hamburg wurde am 8. April von der konkret organisiert. Neben der notwendigen Kritik daran, daß der Jugoslawienkrieg 1999 eben auch ein deutscher Krieg ist, kam dabei die Kritik am Anteil der Milosevic-Strömung an der Zersetzung Jugoslawiens zu kurz. In der aufgeregten Diskussion am Schluß versuchten einige Kriegsgegner, die eigene Machtlosigkeit gegenüber der BRD durch eindimensionales Argumentieren zu überwinden. So sagte Mathias Küntzel, im Krieg gegen Jugoslawien seien antinationale und antideutsche Positionen nicht mehr vereinbar. Es gehe darum, antideutsch gegen den Krieg zu sein, an der Seite Jugoslawiens, eine Kritik von serbischem Nationalismus müsse jetzt zurückstehen. Die bahamas veröffentlichten im April ein Extrablatt, überschrieben mit „Nasdravlje, Partizani i Cetnici“. Sie propagierten darin einen notwendigen revolutionären Defätismus. Aber die Überschrift prostete Partisanen und Tschetniks zu. Es wird nicht so gemeint sein – aber die Gleichsetzung von PartisanInnen und Tschetniks ist historisch falsch und politisch fatal. Gegen die nationalistischen Tschetniks, die eine serbische Monarchie wollten, mussten die PartisanInnen unter Tito ein staatssozialistisches Jugoslawien militärisch erkämpfen. Es gab eben nicht nur die Ustascha in Kroatien und die SS-Division Skanderberg in Albanien, sondern für jeden der Nationalismen bewaffnete Formationen. Wie heute auch.
Wer in Frankreich die „grande nation“ feiert, in Britannien den Union Jack oder in Spanien den „Dia de la raza y la hispanidad“, kämpft nicht für Befreiung statt Nation, sondern bestenfalls gegen Deutschland. Das kann nützlich sein, aber die Vorstellung eines Bündnisses mit französischen Gaullisten gegen Deutschland läßt schnell die Beschränktheit erahnen, die eine solche antideutsche Aktionseinheit hätte. Der zweite Weltkrieg war eine einmalige Konstellation und die ist vorbei. Der Kemalismus der türkischen Militärs hat etwa einen antiimperialistischen Ursprung, ist aber vor allem eine nationalistische Herrschaftsideologie. Wenn Antideutsch nur noch als eindimensionaler, alles entscheidender Hauptwiderspruch verstanden wird, werden Herrschaftsverhältnisse und – ideologien toleriert: Als ob Nationalstaaten etwas gutes wären, wenn sie mit Deutschland in Konkurrenz stehen.
Aber eine antideutsche Kritik ist ein unverzichtbarer Bestandteil linker Politik in der BRD: Das gilt nach dem Jugoslawienkrieg mit der Nutzbarmachung von antinationalen Versatzstücken für die Kriegspropaganda mehr als zuvor. Deutschland führte Krieg. Von FAZ bis taz wurde Kritik an der Inszenierung von Nation als Kriegsvorbereitung geübt – gegenüber Serbien. Politik und Medien-Meanstream erklärten das nationalistische Konzept der UÇK zum Menschenrecht, definierten ein unterdrücktes Volk der KosovarInnen. Unterschlagen wurde, wodurch die Nationalismen Jugoslawiens bedeutsam wurden: Die regionalen Eliten reagierten auf das Scheitern Jugoslawiens auf dem kapitalistischen Weltmarkt damit, aus Teilrepubliken Nationen zu machen, um sich in offener Konkurrenz Vorteile zu verschaffen. Vermeintlich antinationale Kritik, die Deutschland und seine Rolle dabei ausblendet - „Volksgruppenpolitik“ - ist Heuchelei.
Die Texte sind Legion, in denen virtuos die Kritik an der Erfindung und Durchsetzung von Nation durchexerziert wurde – wenn’s um gegen „Serbien“ ging. Dekonstruktionen des serbischen Nationalismus gab es etwa von Slavoj Zizek in der taz: „Erst der gegenwärtige Ausbruch eines rassistischen Nationalismus läßt die alten Mythen wiederaufleben“. Der Text erschien am 16. April während der pausenlosen Bombardierung Rest-Jugoslawiens. Gleichzeitig betrieb die taz die Erfindung des Volkes der KosovarInnen, propagierte Bomben für das sogenannte Selbstbestimmungsrecht eines kosovarischen Volkes – garniert mit Zizeks auf Serbien reduzierten Antinationalismus. Zizeks Aussage ist nicht falsch – aber die Umdeutung des konkurrierenden nationalistischen Konzeptes der UÇK in ein Menschenrecht im unmittelbaren Umfeld machte seine Kritik an serbischem Nationalismus zum Bestandteil des Diskurses der Kriegsbefürwortung.
An anderer Stelle, in der Berliner Zeitung, lieferte er statt vermeintlich antinationaler Kritik für kritische Intellektuelle und indirekter Kriegsbefürwortung – wie in der taz – offene Kriegshetze: „Ich glaube, die Serben verdienen das, was sie jetzt bekommen ... Jetzt gibt es aber verschiedene Optionen. Eine wäre, die Bombardierungen fortzusetzen und ein wirkliches Embargo durchzusetzen ... Die andere Option wäre, die UÇK zu bewaffnen“ (zitiert nach: konkret 6/99).
Im I. Weltkrieg kritisierte die schon damals sehr deutsche SPD die zaristische Diktatur in Russland, um ihren Burgfrieden mit dem deutschen Angriffskrieg zu rechtfertigen. Antinationale Kritik, die das eigene Land ausblendet, ist keine. Das Gruseln vor dem balkanischen, südslawischen Krieger Slobo Milosevic ist antiserbisch, nicht antinational. Antinational ist die Kritik an der deutschen Entwicklungshilfe für den UÇK-Nationalismus und die aktive deutsche Beteiligung an der völkisch definierten Aufteilung Jugoslawiens. Dazu gehört aber auch, serbischen Nationalismus nicht schönzureden oder zu tolerieren. Alle Nationalismen sind abzulehnen – auch wenn sie gerade mal gegen BRD und NATO sind. Pro- oder anti-serbisch ist eine falsche Alternative, die ethnisierte Zuschreibungen reproduziert und eine antirassistische Perspektive verbaut. Dabei kann es nicht darum gehen, Blocks mit jugoslawischen Fahnen aus Demos rauszuhalten – MigrantInnen oder Flüchtlingen das Demonstrationsrecht einzuschränken wäre der falsche Weg. Aber bei Anti-Kriegsdemos kann klar gesagt werden, daß Protest gegen die Machtpolitik von BRD und NATO keine Sympathie für den kapitalistischen Nationalstaat Jugoslawien bedeutet. Bei Anti-Kriegsaktionen hätte es mehr Auseinandersetzung darum geben können – stattdessen war es zumindest in Hamburg so, daß der Block mit Jugoslawienfahnen immer für sich am Ende der Demos lief, es kaum Kontakte gab – es war halt der „Jugo-Block“. Dass sich hinter dieser vermeintlichen Einheit Menschen aus Jugoslawien mit Positionen von pro-Miloseviç über titoistisch bis hin zu antinational bewegten, wurde übersehen.
Die traditionalistische Linke, die immer noch einen jugoslawischen Staatssozialismus sieht, hat sich etwas katastrophales einfallen lassen, um zu rechtfertigen, warum die UÇK oder Rugova auf das von ihnen sonst gepflegte Selbstbestimmungsrecht der Völker kein Befreiungs-Patent anmelden dürfen: Spiegelverkehrt zur deutschen Kriegspropaganda wird die UÇK mit rassistischen Untertönen antialbanisch kritisiert. Um sie von anderen nationalen Befreiungsbewegungen zu unterscheiden, wurden in der jungen Welt kulturalistische Stereotypen aktiviert: „Die Bombenwerfer, die den albanischen Blutrausch zur Entfesselung gebracht haben, palavern...“. (1.7.) Oder: „Hunderte von albanischen Asylbewerbern wittern eine lukrativere Beschäftigung als Hütchenspielen...“ (19.4.). Direkt über dem zweiten Zitat wurde in einem anderem Artikel die „gewaltsame Vertreibung von Millionen Kurden aus ihrer Heimat“ kritisiert.
Die verkürzten antideutschen und antiimperialistischen Hauptwidersprüche trafen sich in dieser vereinfachten Vorstellung des Konfliktes. Serbischer Nationalismus oder rassistische Stereotypen vom hütchenspielenden, dealenden UÇK-Mafioso sind dabei Nebenwidersprüche. Das ging so weit, dass die Kritik der UÇK durch rassistische Beschimpfungen ersetzt wurde. Traditionslinke, antiimperialistisch orientierte Medien waren hierbei führend. Besonders krass die junge Welt. Aber im direkten Vergleich fiel auf, dass auch antideutsche Autoren Analyse mit rassistischen Stereotypen vermengten. In der jungen Welt war bei Werner Pirker vom „Gesetz der Blutrache“ die Rede oder einer „organisierten Kriminalität von Kosovo-Albanern“, während in der sich antideutsch verstehenden Zeitschrift bahamas Thomas Becker vom „bäuerlich-mafiosen Kosovo“ schrieb, „...denn der Hass gegen die jugoslawische Staatsmacht pflanzte sich im patriarchalischen Milieu der albanischen Großfamilie des Kosovo auf ebenso natürliche Weise fort wie bei jedem Pubertierenden ... Beide Aspekte, der tragisch sublimierte wie der unbändig entsublimierte Mannestrieb schienen gleichermassen zur mehr oder weniger normalen Entwicklung eines kosovo-albanischen Jugendlichen zu gehören.“
Warum muss man männlich sein, um in die Ethno-Schublade kosovo-albanischer Jugendlicher sortiert zu werden? Und die Eindeutigkeit, mit der hier ethnisierende Zuschreibungen wiedergekäut werden, lässt auf einen recht verkürzten Antinationalismus schliessen: Das es die eindeutig definierbare Ethnie Kosovo-Albaner gibt, scheint für bahamas-Autor Becker außer Frage zu stehen. Hier trifft er sich wieder mit junge-Welt-Pirker, der einen Kommentar zur Distanz der NATO zur „UÇK-Mafia“ so beendete: „Das Syndikat schlägt die albanische Kleinkriminalität und meint die Selbstbestimmung aller Völker der Region.“ Es geht nicht darum, Autoren der jungen Welt und der bahamas gleichzusetzen: Das Bedauern, dass „den Völkern“ damit Schaden zugefügt würde, teilt Becker sicher nicht. Aber sein einfältiges Antideutsch-Sein reicht nicht soweit, das angebliche Subjekt Volk zu hinterfragen. Das ist aber ein wesentlicher Punkt, an dem antirassistische und antinationale Linke anders als Traditionslinke die richtigen Fragen stellen, ideologiekritisch sind: Wenn in der jungen Welt steht, das „die UÇK eine Rolle bei der Entwurzelung ethnischer Albaner spielte“, sollte einer/einem Antideutschen aufstossen, wie hier mit Volk gewedelt wird.
Es ist katastrophal, linke Basics wie Antirassismus oder Patriarchatskritik einfach über Bord zu schmeissen, um die Analyse griffiger zu machen. Dieses Problem gibt es in der antiimperialistischen Solidarität. Viele Kurdistan-Soligruppen werfen der gruppe demontage vor, wir würden mit unserer Kritik am Nationalismus der PKK und einem Beharren auf Antirassismus vom Kampf ablenken, uns entsolidarisieren. Wir antworten darauf, dass für uns eine kritische Solidarität keine Akzeptanz von Herrschaftsverhältnissen und -ideologien zuläßt. Das gleiche gilt für die Anti-Kriegsbewegung zum Jugoslawienkrieg.
Im linksradikalen Werkzeugkasten zur Zersetzung und Dekonstruktion des Kapitalismus liegt mehr als ein Universalschlüssel. Die antideutsche Kneifzange allein reicht nicht.
Für radikal internationalistische, kosmopolitische Politik
ist diese Kritik am eigenen Land unverzichtbar. Antideutsch ist dabei eine
notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung. Um der jugoslawischen Flak
voll ohnmächtiger Wut Tornadoabschüsse zu wünschen, brauchte ich die Parole „Kosovo ist Serbisch“ nicht zu
unterschreiben. Der Protest gegen die Machtpolitik von BRD und NATO bedarf
keiner Sympathie für den kapitalistischen Nationalstaat Jugoslawien. Als
alleiniges Kriterium zu fragen, ob ein Staat antideutsch agiert, und ihn
deswegen als strategischen Bündnispartner zu halluzinieren und von Kritik
auszunehmen, ist schlicht falsch.
Antideutsch als alles entscheidender Hauptwiderspruch ist eine Sackgasse. Das Hauptwiderspruchsdenken war ein Fehler der ML-Linken, die alle Fragen anhand des vermeintlichen Hauptwiderspruchs Arbeit kontra Kapital erklären wollten.
Im verkürzten Antiimperialismus vieler Traditionslinker hat eine besonders vereinfachende Variante des Hauptwiderspruchsdenkens bis heute überlebt: Wer gegen „den Imperialismus“ kämpft, ist ein Verbündeter.
Die UÇK ist eine Guerrilla wie viele andere auch gewesen. Die maoistischen Studierendengruppen, aus denen sie Mitte der 90er Jahre entstand, entstanden Anfang der 80er Jahre aus den Protesten gegen rassistische Ausgrenzung und Benachteiligung im Kosovo. Bei aller Kritik an der Selbstethnisierung zur kosovarischen Nation ging mit dieser eine Ethnisierung seitens der Dominanzkultur und der Belgrader Staatsapparate einher. Die UÇK hat dann sie die sich ihr bietende Gelegenheit wahrgenommen sich der NATO anzudienen. Damit einher gingen weitreichende Säuberungen in der UÇK zwecks Zurichtung auf die NATO-Interessen. Bekanntestes Beispiel ist die Entmachtung des Flügels um Adem Demaci, der gegen eine Teilnahme an Rambouillet war, im Januar 1999 durch die jungen Politmanager um Hashim Thaci, der in der Schweiz Politologie studiert hat. Aus einer maoistischen Guerrilla wurde in vier Jahren ein bewaffneter Arm zuerst vom BND, dann von der CIA: Enver Hodscha ist tot, es lebe der freie Markt! Im Gegensatz zur in den NATO-Staaten gängigen Lesart, die UÇK sei archaisch und dem rassistischen Konstrukt einer kosovarischen, rückständigen Clan-und-Blutsgemeinschaft entsprungen, ist gerade die rassistische Brutalität der UÇK Ausdruck ihrer Modernität und ihrer Anpassung an die „westlichen Wertvorstellungen“: Was die UÇK im Kosovo im Beisein der KFOR/NATO an Terror gegen als Minderheiten ausgrenzbare Menschengruppen durchführt, entspringt dem Bestreben, eine Bevölkerungsstruktur, ein Territorium und eine Armee für einen Nationalstaat, wie er durch die westeuropäischen Nationalstaaten definiert ist, zu erreichen. Die UÇK kommt hierfür zu spät. Die Zeit der Staatenbildung in Europa ist für die offizielle Diplomatie abgeschlossen. Das befördert die aggressive Zurichtung des beanspruchten Territoriums für die Defintionskriterien eines Nationalstaates seitens der UÇK eher noch.
Eine Guerrilla kann mitkonkurrieren im gegenseitigen Unterbieten von Peripherie-Staaten in Anpassungsbereitschaft. Diese Tendenz nimmt nach dem Ende der Perspektive Staatssozialismus, dem Zusammenbruch der Sowjetunion, bei Befreiungsbewegungen zu. Was passiert, wenn sie für den kapitalistischen Weltmarkt oder dessen gewaltförmige Absicherung funktional werden?
Die Grüne Angelika Beer wünscht sich mehr Joint Ventures in Sachen Menschenrechtskriegen zwischen NATO und Guerrillas. Sie fordert gerne affirmativ das entsprechende Recht ein. Anders als der Grüne Pazifist Uli Cremer, der die Weltordnung durch Wirtschaftsembargos zivilisieren will, und vom erfolgreichen Embargo gegen Jugoslawien 1994 schwärmt, appelliert Beer direkt an die NATO: „Wenn es ihr Ziel ist, eine europäische Ordnung auf Demokratie und Konsens aufzubauen, muß sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen und darf sich nicht mit der Verletzung von Menschenrechten in der Türkei abfinden. Der Widerspruch zwischen ihrem konsequenten Verhalten gegenüber dem Diktator Milosevic und der relativen Duldung der Unterdrückung der Kurden muß zukünftig positiv aufgelöst werden.“ (aus der Grünen-Zeitschrift schrägstrich 5-6/99).
Beer ist durch ihren positiven Bezug auf unterdrückte Völker mittlerweile folgerichtig bei den Institutionen bürgerlicher Herrschaft gelandet und fordert von der NATO weiteres Engagement im Völkerrecht. Im Gegensatz zu einer antinationalen Kritik redet sie die NATO realpolitisch schön: Aus der massiven Unterstützung durch BRD und NATO für die Militärdemokratur in der Türkei und dem Krieg gegen die PKK und ihre zivile Basis wird bei ihr die „relative Duldung“.
Im Gegensatz hierzu ist linke Politik anti-herrschaftlich,
jenseits der institutionellen Spielregeln. Befreiung ist etwas anderes, als
Nationen durchzusetzen. Ob dies nun im Bündnis mit der NATO oder gegen sie
geschieht. Und Antinationalismus funktioniert nur als Antikapitalismus: Die
Kriege in Jugoslawien sind durch kapitalistische Konkurrenz erklärbar, nicht
in der Fiktion einer balkanischen Seele. Gesellschaften sind nur als prozesshafte
kapitalistische zu begreifen und nicht als essenzialistische Völker. Als das
jugoslawische Modell in die Krise kam, setzten die regionalen
Nomenklatura-Eliten die Teilrepubliken nationalistisch in Konkurrenz zueinander
- die Ethnisierung des Sozialen wurde dominant. Die Rolle der BRD bei der
politischen Desintegration Jugoslawiens und der langjährigen, vom BND koordinierten
Unterstützung einiger nationalistischer, antijugoslawischer Organisationen ist
ein zentraler Punkt der Kritik. Der Zweite ist die Kritik des kapitalistischen
Weltmarktes: Für Staaten der Peripherie wie es das staatssozialistische bzw.
staatskapitalistische Jugoslawien war,
gab es seit den 60er Jahren zunehmend weniger Spielraum. Der Ansatz des
titoistischen Jugoslawiens, innerhalb des Staates die regionalen Ungleichheiten
auszugleichen, indem die industrialisierten nördlichen Teilrepubliken den
agrarischen südlichen Gewinne abgeben, scheiterte an der durch die Beteiligung
am kapitalistischen Weltmarkt bedingte interne Desintegration Jugoslawiens.
Abhängigkeit gegenüber westlichen Kreditgebern kam hinzu. Ein klassisches,
trauriges Beispiel dafür, das es in der gegenwärtigen Etappe des Kapitalismus,
des Postfordismus, für Trikontstaaten nahezu unmöglich ist, eine
unabhängige Nationalökonomie
aufzubauen. Die kapitalistischen Zentren USA, BRD/EU, Japan halten für die
Kapitalverwertung die Spielregeln der Weltwirtschaft aufrecht, an denen
Jugoslawien zerbrach. Zur Kritik der sogenannten Politik gehört die Kritik der
politischen Ökonomie. Die besondere
Aggressivität der BRD ist die Kombination daraus, erstens als kapitalistisches
Zentrum Jugoslawien auf eine Freie Produktionszone mit Tourismusdienstleistungen
zu beschränken, und zweitens die ökonomische Desintegration mit einem
politischen Projekt der völkischen Parzellierung zu forcieren. Im Sommer 1998 regten
sich die Grünen, noch als Opposition, darüber auf, das Rühes Kriegsministerium
die Bundeswehruniformen in einer Weltmarktfabrik in Rest-Jugoslawien nähen
ließ. Dabei protestierten die Grünen nicht gegen die miesen Arbeitsbedingungen
in der „Freien Produktionszone“
Rest-Jugoslawien. Sie wollten, das NäherInnen in anderen Ecken Europas
ausgebeutet werden, wo die Regierungen der deutschen Außenpolitik und deren
Menschenrechten folgen.