Antinational, antideutsch, oder: „Kein Urlaubsort wo Völkermord?“

 

Von Gaston Kirsche (gruppe demontage), Juli 1999

 

Auf dem antinationalen Forum „Last Exit Nation“ am 4. Juni in Köln im Rahmen der Proteste gegen den EU-Gipfel, auf dem der Diktatfrieden gegen Jugoslawien festgezurrt wurde, war der Themenblock zum NATO-Krieg der bestbesuchteste. Es gab eine Diskussion zum Umgang mit serbischem Nationalismus bei den Anti-Kriegs-Protesten. Der folgende Text ist aus dieser Diskussion heraus entstanden und greift einiges daraus auf.

 

Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien seit dem 24. März 1999 hat in der Linken Versatzstücke von antinationalen Analysen populärer gemacht – weil die entsprechende Kritik der deutschen Destabilisierungs- und Ethnisie­rungspolitik  seit Jahren betrieben wird.

Gleichzeitig wurden Versatzstücke antinationaler Kritik an Jugoslawien als antiserbische Positionen zum Be­standteil des Diskurses der Kriegsbefürwortung ge­macht. Aber ähnlich wie im ersten Jugoslawienkrieg um Bosnien wurde auch hier eine linke Analyse nicht da­durch falsch, daß Bruchstücke und Reizwörter aus ihr für den herrschenden Diskurs umdefiniert und benutzt wurden: Die Patriarchatskritik an sexualisierter Gewalt besonders im Krieg ist nicht falsch, weil die Kriegsbe­fürworterInnen von Völkermord, Verge­waltigung, Ver­treibung sprachen, um eigene Gewalt zu rechtfertigen. Aber genauso wie die Kritik an sexualisier­ter Gewalt antipatriarchal sein muß, muß Kritik an den nationalisti­schen Kriegsparteien in Jugoslawien anti­deutsch unter­füttert sein, um  nicht für die deutsche Kriegspropaganda nutzbar zu sein. Gerade bei den De­batten in der Linken in der BRD hat sich so die Notwen­digkeit gezeigt, nicht nur allgemein antinational, sondern explizit antideutsch zu sein. Es ist verständlich, das sich unter traditionalisti­schen Linken dagegen Unmut und Abwehr regt. Zumal ganz in der schlechten Tradition der Friedensbewegung „argumentiert“ wurde:  Mit nationalistischem Lamentie­ren über die deutschen Opfer der Bombardements der Alliierten gegen Nazideutschland gegen den NATO-Krieg. So tauchten im Mai in Dresden Aufkleber mit der Parole „Dresdener wissen, was Bombardierung ziviler Ziele bedeutet“ auf.

Auch die junge Welt ließ sich die Gelegenheit, sich wiederholt als Zentralorgan einer nicht nur autoritär-staatsfixierten, sondern ebenso nationalorientierten Lin­ken zu gerieren, nicht entgehen. Um so wichtiger ist es, die verschiedenen antideutschen Argu­mentationen in der Kritik weiterzu­entwickeln.

Anders als im Golfkrieg 91 waren sich antiimperialistisch wie antideutsch argumentierende Linke in der Gegner­schaft zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien vordergrün­dig einig. Bei mehreren Demos in Hamburg wurde ein Transparent getragen, auf dem Jugoslawien in seine Teilrepubliken zerteilt ist und sieben Hände nach den Stücken greifen – auf ihren Ärmeln die Länderkürzel F, I, USA, BRD, RUS, GB und TR. Das Motive fand sich auch auf Flugblättern, mit denen „zum internationalen antiimperialistischen Block“ mobilisiert wurde. Wenn sich antideutsche GrafikerInnen daran versucht hätten, wäre die Hand wohl eine Faust gewesen a lá Jugoslawien zerschlagen. Dies würde die Realität der Destabilisie­rung mithilfe der von der BRD gepushten nationalen Karte veranschaulichen, im Gegensatz zur Verharmlo­sung der BRD neben der Türkischen Republik (TR) als gleich starke imperialistische Konkurrenz um Ein­flußsphären. Trotzdem könnte es eine Gemeinsamkeit geben: Die Reduzierung des Auseinanderbrechens der Sozialisti­schen Föderativen Republik Jugoslawien auf die direkte äußere Einmischung.

 

Antideutsch – notwendig, aber nicht ausreichend

Die erste große Anti-Kriegs-Veranstaltung in Hamburg wurde am 8. April von der konkret organisiert. Neben der notwendigen Kritik daran, daß der Jugoslawienkrieg 1999 eben auch ein deutscher Krieg ist, kam dabei die Kritik am Anteil der Milosevic-Strömung an der Zerset­zung Jugoslawiens zu kurz. In der aufgeregten Diskus­sion am Schluß versuchten einige Kriegsgegner, die eigene Machtlosigkeit gegenüber der BRD durch eindi­mensionales Argumentieren zu überwinden. So sagte Mathias Küntzel, im Krieg gegen Jugoslawien seien antinationale und antideutsche Positionen nicht mehr vereinbar. Es gehe darum, antideutsch gegen den Krieg zu sein, an der Seite Jugoslawiens, eine Kritik von ser­bischem Nationalismus müsse jetzt zurückstehen. Die bahamas veröffentlichten im April ein Extrablatt, über­schrieben mit „Nasdravlje, Partizani i Cetnici“. Sie pro­pagierten darin einen notwendigen revolutionären Defä­tismus. Aber die Überschrift prostete Partisanen und Tschetniks zu. Es wird nicht so gemeint sein – aber die Gleichsetzung von PartisanInnen und Tschetniks ist historisch falsch und politisch fatal. Gegen die nationali­stischen Tschetniks, die eine serbische Monarchie woll­ten, mussten die PartisanInnen unter Tito ein staatsso­zialistisches Jugoslawien militärisch erkämpfen. Es gab eben nicht nur die Ustascha in Kroatien und die SS-Divi­sion Skanderberg in Albanien, sondern für jeden der Nationalismen bewaffnete Formationen. Wie heute auch.

 

Antideutsche Politik, die bei anderen Nationalismen das „anti“ vergisst, greift zu kurz.

Wer in Frankreich die „grande nation“ feiert, in Britan­nien den Union Jack oder in Spanien den „Dia de la raza y la hispanidad“, kämpft nicht für Befreiung statt Nation, sondern bestenfalls ge­gen Deutschland. Das kann nütz­lich sein, aber die Vor­stellung eines Bündnisses mit französischen Gaullisten gegen Deutschland läßt schnell die Beschränktheit er­ahnen, die eine solche antideut­sche Aktionseinheit hätte. Der zweite Weltkrieg war eine einmalige Konstel­lation und die ist vorbei. Der Kemalis­mus der türkischen Militärs hat etwa einen antiimperiali­stischen Ursprung, ist aber vor allem eine nationalisti­sche Herrschaftsideo­logie. Wenn Antideutsch nur noch als eindimensionaler, alles entscheidender Hauptwider­spruch verstanden wird, werden Herrschaftsverhältnisse und – ideologien tole­riert: Als ob Nationalstaaten etwas gutes wären, wenn sie mit Deutschland in Konkurrenz stehen.

Aber eine antideutsche Kritik ist ein unverzichtbarer Bestandteil linker Politik in der BRD: Das gilt nach dem Jugosla­wienkrieg mit der Nutzbarmachung von antina­tionalen Versatzstücken für die Kriegspropaganda mehr als zu­vor.  Deutschland führte Krieg. Von FAZ bis taz wurde Kritik an der Inszenierung von Nation als Kriegs­vorbereitung geübt – gegenüber Serbien. Politik und Medien-Mean­stream erklärten das nationalistische Kon­zept der UÇK zum Menschenrecht, definierten ein un­terdrücktes Volk der KosovarInnen. Unterschlagen wurde, wodurch die Nationalismen Jugoslawiens be­deutsam wurden: Die regionalen Eliten reagierten auf das Scheitern Jugosla­wiens auf dem kapitalistischen Weltmarkt damit, aus Teilrepubliken Nationen zu ma­chen, um sich in offener Konkurrenz Vorteile zu ver­schaffen. Vermeintlich antina­tionale Kritik, die Deutsch­land und seine Rolle dabei ausblendet - „Volksgruppen­politik“ - ist Heu­chelei.

 

Weder pro-, noch antiserbisch, sondern antinational

Die Texte sind Legion, in denen virtuos die Kritik an der Erfindung und Durchsetzung von Nation durchexerziert wurde – wenn’s um gegen „Serbien“ ging. Dekonstruk­tionen des serbischen Nationalismus gab es etwa von Slavoj Zizek in der taz: „Erst der gegenwärtige Ausbruch eines rassistischen Nationalismus läßt die alten Mythen wiederaufleben“. Der Text erschien am 16. April wäh­rend der pausenlosen Bombardierung Rest-Jugoslawi­ens. Gleichzeitig betrieb die taz die Erfindung des Vol­kes der KosovarInnen, propagierte Bomben für das so­genannte Selbstbestimmungsrecht eines kosovarischen Volkes – garniert mit Zizeks auf Serbien reduzierten Antinationalismus. Zizeks Aussage ist nicht falsch – aber die Umdeutung des konkurrierenden nationalistischen Konzeptes der UÇK in ein Menschenrecht im unmittel­baren Umfeld machte seine Kritik an serbischem Natio­nalismus zum Bestandteil des Diskurses der Kriegsbe­fürwortung.

An anderer Stelle, in der Berliner Zeitung, lieferte er statt vermeintlich antinationaler Kritik für kritische Intellektu­elle und indirekter Kriegsbefürwortung  – wie in der taz – offene Kriegshetze: „Ich glaube, die Serben verdienen das, was sie jetzt bekommen ... Jetzt gibt es aber ver­schiedene Optionen. Eine wäre, die Bombardierungen fortzusetzen und ein wirkliches Embargo durchzusetzen ... Die andere Option wäre, die UÇK zu bewaffnen“ (zi­tiert nach: konkret 6/99).

Im I. Weltkrieg kritisierte die schon damals sehr deut­sche SPD die zaristische Diktatur in Russland, um ihren Burgfrieden mit dem deutschen Angriffskrieg zu recht­fertigen. Antinationale Kritik, die das eigene Land aus­blendet, ist keine. Das Gruseln vor dem balkanischen, südslawischen Krieger Slobo Milosevic ist antiserbisch, nicht antinational. Antinational ist die Kritik an der deut­schen Entwicklungshilfe für den UÇK-Nationalismus und die aktive deutsche Beteiligung an der völkisch definier­ten Aufteilung Jugoslawiens. Dazu gehört aber auch, serbischen Nationalismus nicht schönzureden oder zu tolerieren. Alle Nationalismen sind abzulehnen – auch wenn sie gerade mal gegen BRD und NATO sind. Pro- oder anti-serbisch ist eine falsche Alternative, die ethni­sierte Zuschreibungen reproduziert und eine antirassisti­sche Perspektive verbaut. Dabei kann es nicht darum gehen, Blocks mit jugoslawischen Fahnen aus Demos rauszuhalten – MigrantInnen oder Flüchtlingen das De­monstrationsrecht einzuschränken wäre der falsche Weg. Aber bei Anti-Kriegsdemos kann klar gesagt wer­den, daß Protest gegen die Machtpolitik von BRD und NATO keine Sympathie für den kapitalistischen Natio­nalstaat Jugoslawien bedeutet. Bei Anti-Kriegsaktionen hätte es mehr Auseinandersetzung darum geben kön­nen – stattdessen war es zumindest in Hamburg so, daß der Block mit Jugoslawienfahnen immer für sich am Ende der Demos lief, es kaum Kontakte gab – es war halt der „Jugo-Block“. Dass sich hinter dieser vermeintli­chen Einheit Menschen aus Jugoslawien mit Positionen von pro-Miloseviç über titoistisch bis hin zu antinational bewegten, wurde übersehen.

 

Für eine Kritik der UÇK ohne rassistische Untertöne

Die traditionalistische Linke, die immer noch einen jugo­slawischen Staatssozialismus sieht, hat sich etwas kata­strophales einfallen lassen, um zu rechtfertigen, warum die UÇK oder Rugova auf das von ihnen sonst gepflegte Selbstbestimmungs­recht der Völ­ker kein Befreiungs-Patent anmelden dürfen: Spiegel­verkehrt zur deutschen Kriegspropaganda wird die UÇK mit rassistischen Un­tertönen antialbanisch kritisiert. Um sie von anderen nationalen Befreiungsbe­wegungen zu unterscheiden, wurden in der jungen Welt kulturalisti­sche Stereotypen aktiviert: „Die Bombenwer­fer, die den albanischen Blutrausch zur Entfesselung gebracht ha­ben, pala­vern...“. (1.7.) Oder: „Hunderte von albanischen Asylbe­werbern wittern eine lukrativere Be­schäftigung als Hüt­chenspielen...“ (19.4.). Direkt über dem zweiten Zitat wurde in einem anderem Artikel  die „gewaltsame Ver­treibung von Millionen Kurden aus ihrer Heimat“ kriti­siert.

 

Verkürzte antideutsche und antiimpe­rialistische Hauptwidersprüche

Die verkürzten antideutschen und antiimpe­rialistischen Hauptwidersprüche trafen sich in dieser ver­einfachten Vorstellung des Konfliktes. Serbischer Nationalismus oder rassistische Stereotypen vom hütchenspielenden, dealenden UÇK-Mafioso sind dabei Nebenwidersprü­che. Das ging so weit, dass die Kritik der UÇK durch rassistische Beschimp­fungen ersetzt wurde. Traditions­linke, antiimperialistisch orientierte Medien waren hierbei führend. Besonders krass die  junge Welt. Aber im di­rekten Vergleich fiel auf, dass auch antideutsche Auto­ren Analyse mit rassi­stischen Stereotypen vermengten. In der jungen Welt war bei Werner Pirker vom „Gesetz der Blutrache“ die Rede oder einer „organisierten Krimi­nalität von Kosovo-Albanern“, während in der sich anti­deutsch verstehen­den Zeitschrift bahamas Thomas Becker vom „bäuerlich-mafiosen Kosovo“ schrieb, „...denn der Hass gegen die jugoslawische Staatsmacht pflanzte sich im patriarchali­schen Milieu der albanischen Großfamilie des Kosovo auf ebenso natürliche Weise fort wie bei jedem Pubertie­renden ... Beide Aspekte, der tragisch sublimierte wie der unbändig entsublimierte Mannestrieb schienen glei­chermassen zur mehr oder weniger normalen Entwick­lung eines kosovo-albani­schen Jugendlichen zu gehö­ren.“

Warum muss man männlich sein, um in die Ethno-Schublade kosovo-albanischer Jugendlicher sortiert zu werden? Und die Eindeutigkeit, mit der hier ethnisie­rende Zuschreibungen wiedergekäut werden, lässt auf einen recht verkürzten Antinationalismus schliessen: Das es die eindeutig definierbare Ethnie Kosovo-Albaner gibt, scheint für bahamas-Autor Becker außer Frage zu ste­hen. Hier trifft er sich wieder mit junge-Welt-Pirker, der einen Kommentar zur Distanz der NATO zur „UÇK-Ma­fia“ so beendete: „Das Syndikat schlägt die albani­sche Kleinkriminalität und meint die Selbstbestimmung aller Völker der Region.“ Es geht nicht darum, Autoren der jungen Welt und der bahamas gleichzusetzen: Das Be­dauern, dass „den Völkern“ damit Schaden zugefügt würde, teilt Becker sicher nicht. Aber sein einfältiges Antideutsch-Sein reicht nicht soweit, das angebliche Subjekt Volk zu hinterfragen. Das ist aber ein wesentli­cher Punkt, an dem antirassistische und antinationale Linke anders als Traditionslinke die richtigen Fragen stellen, ideologiekritisch sind: Wenn in der jungen Welt steht, das „die UÇK eine Rolle bei der Entwurzelung ethnischer Albaner spielte“, sollte ei­ner/einem Antideut­schen aufstossen, wie hier mit Volk gewedelt wird.

Es ist katastrophal, linke Basics wie Antirassismus oder Patriarchatskritik einfach über Bord zu schmeissen, um die Analyse griffiger zu machen. Dieses Problem gibt es in der antiimperialistischen Solidarität. Viele Kurdistan-Soligruppen werfen der gruppe demontage vor, wir wür­den mit unserer Kritik am Nationalismus der PKK und einem Beharren auf Antirassismus vom Kampf ab­lenken, uns entsolidarisieren. Wir antworten darauf, dass für uns eine kritische Solidarität keine Akzeptanz von Herrschaftsverhältnissen und -ideologien zuläßt. Das gleiche gilt für die Anti-Kriegsbewegung zum Jugo­slawienkrieg.

Im linksradikalen Werkzeugkasten zur Zersetzung und Dekonstruktion des Kapitalismus liegt mehr als ein Universalschlüssel. Die antideutsche Kneif­zange allein reicht nicht.  

Für radikal internationalistische, kosmopolitische Politik ist diese Kritik am eigenen Land unverzichtbar. Anti­deutsch ist dabei eine notwendige, aber nicht ausrei­chende Voraussetzung. Um der jugoslawischen Flak voll ohnmächtiger Wut Tornadoabschüsse zu wünschen, brauchte ich die Parole „Kosovo ist Serbisch“ nicht zu unterschreiben. Der Protest gegen die Machtpolitik von BRD und NATO bedarf keiner Sympathie für den kapita­listischen Nationalstaat Jugoslawien. Als alleiniges Krite­rium zu fragen, ob ein Staat antideutsch agiert, und ihn deswegen als strategischen Bündnispartner zu halluzi­nieren und von Kritik auszunehmen, ist schlicht  falsch.

Antideutsch als alles entscheidender Hauptwiderspruch ist eine Sackgasse. Das Hauptwiderspruchsdenken war ein Fehler der ML-Linken, die alle Fragen an­hand des vermeintlichen Hauptwiderspruchs Arbeit kon­tra Kapital erklären wollten.

Im verkürzten Antiimperia­lismus vieler Traditionslinker hat eine besonders ver­einfachende Va­riante des Hauptwiderspruchsdenkens bis heute über­lebt: Wer gegen „den Imperialismus“ kämpft, ist ein Ver­bündeter.

 

Enver Hodscha ist tot, es lebe der freie Markt!

Die UÇK ist eine Guerrilla wie viele andere auch gewe­sen. Die maoistischen Studierendengruppen, aus denen sie Mitte der 90er Jahre entstand, entstanden Anfang der 80er Jahre aus den Protesten gegen rassistische Ausgrenzung und Benachteiligung im Kosovo. Bei aller Kritik an der Selbstethnisierung zur kosovarischen Na­tion ging mit dieser eine Ethnisierung seitens der Domi­nanzkultur und der Belgrader Staatsapparate einher. Die UÇK hat dann sie die sich ihr bietende Gelegenheit wahrgenommen sich der NATO anzudienen. Damit ein­her gingen weitreichende Säuberungen in der UÇK zwecks Zurichtung auf die NATO-Interessen. Be­kanntestes Beispiel ist die Entmachtung des Flügels um Adem Demaci, der gegen eine Teilnahme an Rambouillet war, im Januar 1999 durch die jungen Politmanager um Hashim Thaci, der in der Schweiz Politologie studiert hat. Aus einer maoistischen Guerrilla wurde in vier Jahren ein bewaffneter Arm zuerst vom BND, dann von der CIA: Enver Hodscha ist tot, es lebe der freie Markt!  Im Ge­gensatz zur in den NATO-Staaten gängigen Lesart, die UÇK sei archaisch und dem rassistischen Konstrukt einer kosovarischen, rückständigen  Clan-und-Blutsge­meinschaft entsprungen, ist gerade die rassistische Brutalität der UÇK Ausdruck ihrer Modernität und ihrer Anpassung an die „westlichen Wertvorstellungen“: Was die UÇK im Kosovo im Beisein der KFOR/NATO an Terror gegen als Minderheiten ausgrenzbare Men­schengruppen durchführt, entspringt dem Bestreben, eine Bevölkerungsstruktur, ein Territorium und eine Ar­mee für einen Nationalstaat, wie er durch die westeuro­päischen Nationalstaaten definiert ist, zu erreichen. Die UÇK kommt hierfür zu spät. Die Zeit der Staatenbildung in Europa ist für die offizielle Diplomatie abgeschlossen. Das befördert die aggressive Zurichtung des bean­spruchten Territoriums für die Defintionskriterien eines Nationalstaates seitens der UÇK eher noch.

Eine Guerrilla kann mitkonkurrieren im gegensei­tigen Unterbieten von Peripherie-Staaten in Anpas­sungsbe­reitschaft. Diese Tendenz nimmt nach dem Ende der Perspektive Staatssozialismus, dem Zusam­menbruch der Sowjetunion, bei Befreiungsbewegungen zu. Was passiert, wenn sie für den kapitalistischen Weltmarkt oder dessen gewaltförmige Absicherung funktional wer­den?

Die Grüne Angelika Beer wünscht sich mehr Joint Ventures in Sachen Menschenrechtskriegen zwischen NATO und Guerrillas. Sie fordert gerne affirmativ das entsprechende Recht ein.  Anders als der Grüne Pazifist Uli Cremer, der die Weltordnung durch Wirtschaftsem­bargos zivilisieren  will, und vom erfolgreichen Embargo gegen Jugoslawien 1994 schwärmt, appelliert Beer di­rekt an die NATO: „Wenn es ihr Ziel ist, eine europäi­sche Ordnung auf Demokratie und Konsens aufzu­bauen, muß sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen und darf sich nicht mit der Verlet­zung von Menschen­rechten in der Türkei abfinden. Der Widerspruch zwi­schen ihrem konsequenten Verhalten gegenüber dem Diktator Milosevic und der relativen Duldung der Unter­drückung der Kurden muß zukünftig positiv aufgelöst werden.“ (aus der Grünen-Zeitschrift schrägstrich 5-6/99).

Beer ist durch ihren positiven Bezug auf unterdrückte Völker mittlerweile folgerichtig bei den Institutionen bür­gerlicher Herrschaft gelandet und fordert von der NATO weiteres Engagement im Völkerrecht. Im Gegensatz zu einer antinationalen Kritik redet sie die NATO realpoli­tisch schön: Aus der massiven Unterstützung durch BRD und NATO für die Militärdemokratur in der Türkei und dem Krieg gegen die PKK und ihre zivile Basis wird bei ihr die „relative Duldung“.

Im Gegensatz hierzu ist linke Politik anti-herr­schaftlich, jenseits der institutionellen Spielregeln. Befreiung ist etwas anderes, als Nationen durchzuset­zen. Ob dies nun im Bündnis mit der NATO oder gegen sie geschieht. Und Antinationalismus funktioniert nur als Antikapitalis­mus: Die Kriege in Jugoslawien sind durch kapitalisti­sche Konkurrenz erklärbar, nicht in der Fiktion einer balkanischen Seele. Gesellschaften sind nur als pro­zesshafte kapitalistische zu begreifen und nicht als es­senzialistische Völker. Als das jugoslawische Modell in die Krise kam, setzten die regionalen Nomenklatura-Eliten die Teilrepubliken nationalistisch in Konkurrenz zueinander - die Ethnisierung des Sozialen wurde domi­nant. Die Rolle der BRD bei der politischen Desintegra­tion Jugoslawiens und der langjährigen, vom BND koor­dinierten Unterstützung einiger nationalistischer, antiju­goslawischer Organisationen ist ein zentraler Punkt der Kritik. Der Zweite ist die Kritik des kapitalistischen Welt­marktes: Für Staaten der Peripherie wie es das staats­sozialistische bzw. staatskapitalistische  Jugoslawien war, gab es seit den 60er Jahren zunehmend weniger Spielraum. Der Ansatz des titoistischen Jugoslawiens, innerhalb des Staates die regionalen Ungleichheiten auszugleichen, indem die industrialisierten nördlichen Teilrepubliken den agrarischen südlichen Gewinne ab­geben, scheiterte an der durch die Beteiligung am kapi­talistischen Weltmarkt bedingte interne Desintegration Jugoslawiens. Abhängigkeit gegenüber westlichen Kre­ditgebern kam hinzu. Ein klassisches, trauriges Beispiel dafür, das es in der gegenwärtigen Etappe des Kapita­lismus, des Postfordismus, für Trikontstaaten nahezu unmöglich ist, eine unabhängige  Nationalökonomie aufzubauen. Die kapitalistischen Zentren USA, BRD/EU, Japan halten für die Kapitalverwertung die Spielregeln der Weltwirtschaft aufrecht, an de­nen Jugoslawien zer­brach. Zur Kritik der sogenannten Politik gehört die Kritik der politischen Ökonomie.  Die besondere Aggressivität der BRD ist die Kombination daraus, erstens als kapita­listisches Zentrum Jugosla­wien auf eine Freie Produkti­onszone mit Tourismus­dienstleistungen zu beschrän­ken, und zweitens die öko­nomische Desintegration mit einem politischen Projekt der völkischen Parzellierung zu forcieren. Im Sommer 1998 regten sich die Grünen, noch als Opposition, dar­über auf, das Rühes Kriegsmi­nisterium die Bundeswehr­uniformen in einer Weltmarkt­fabrik in Rest-Jugoslawien nähen ließ. Dabei protestier­ten die Grünen nicht gegen die miesen Arbeitsbedin­gungen in der „Freien Produkti­onszone“ Rest-Jugosla­wien. Sie wollten, das NäherIn­nen in anderen Ecken Europas ausgebeutet werden, wo die Regierungen der deutschen Außenpolitik und deren Menschenrechten folgen.