Revolutionäre Basteln!

Ein Plädoyer für eine kosmopolitische kommunistische Organisation.


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Die Entscheidung der Jungle World, die Klärung linker Perspektiven und Selbstverständnisse mit der Frage nach dem Begriff der Emanzipation anzugehen, hat sich als fruchtbar erwiesen. Was und wer links ist, lässt sich sinnvoll nicht als Definitionsfrage zur Ab- und Ausgrenzung von anderen stellen, sondern nur als Frage der Orientierung der eigenen Praxis. Um eine solche theoretisch fundierte Praxis zu entwickeln, ist die Frage nach der Emanzipation gut geeignet. Die bürgerliche Emanzipation war, wie Roger Behrens (Jungle World, 51/04) schreibt, eine "praktische Erkenntniskritik", ihr Scheitern bei der Einlösung des eigenen Entwurfs bildet den Ausgangspunkt für ein linkes revolutionäres Emanzipationsprojekt. Für, wie Kai Pohl (02/05) formuliert, eine Praxis der Emanzipation, "die als Minimalkonsens die Befreiung vom stummen Zwang der Verhältnisse zum Ziel hat".
Die Verkopplung von Theorie und Praxis zieht sich in unterschiedlicher Gewichtung ebenso durch die bisherigen Debattenbeiträge wie die notwendige Verstrickung der Subjekte dieser Theorie-Praxis in die kapitalistischen Verhältnisse. Damit steht auch die Beziehung zwischen gesellschaftlicher Determinierung und Handlungsfreiheit auf der Tagesordnung.
Moe Hierlmeier (01/05) sagt richtig, dass unser "Tun niemals unschuldig" sein kann. Er irrt jedoch, wenn er meint, aus dieser Erkenntnis eine moralische Position gewinnen zu können, die es ihm erlaubt, anderen ihre Verstrickung in die Verhältnisse und ihr Bemühen, die kapitalistischen Verhältnisse kritisch zu reflektieren, vorwerfen zu können.
Ein antideutscher Pappkamerad mag schnell aufgestellt und mit dem biologistischen Bild des "verlorenen Sohnes", der heimkehrt in den Schoß der bürgerlichen Gesellschaft, gedisst sein. Diese Abgrenzung, bei der die Befürworter des Irak-Krieges genannt werden, aber jede antideutsche Position gemeint ist, läuft auf einen Abwehrreflex gegenüber unbequemen Widersprüchen hinaus. Etwa dem durchaus praktischen Problem, dass die Gegner des US-amerikanischen Imperialismus im Irak keineswegs emanzipativ sein müssen und antiimperialistische Linke sich durch Bündnisse mit reaktionären, nationalistischen oder islamistischen Bewegungen von Emanzipation verabschieden. Kritik daran ist nicht mit ein bisschen Bahamas-Bashing zu erledigen, schon allein deshalb, weil längst nicht alle "Antideutschen" oder "Antinationalen" deren Positionen vertreten. Dass Gruppen wie die Bahamas ihren Frieden mit der bürgerlichen Gesellschaft machen, ist nicht Ergebnis ihrer Kritik an Deutschland, sondern der Erhebung des Islamismus zum neuen Hauptwiderspruch, dem Abrücken von der Deutschland-Kritik und der damit verbundenen vermeintlich realpolitischen Wendung, die sich angesichts der linken Schwäche auf die Herrschenden in den USA stützt.
Absurd ist Hierlmeiers Versuch, VertreterInnen bewegungskritischer Positionen als "kritische Kritiker" abzukanzeln. Kritik ist kritisch, oder sie ist keine. Anstatt aufzuzeigen, wie mit einer emanzipatorischen Praxis eine bessere Kritik der Verhältnisse möglich ist als in der reinen Theoriearbeit, feiert Hierlmeier theoretisch unreflektierten Aktionismus à la Seattle. Dabei führt gerade die globalisierungskritische Bewegung ungewollt die lange Kette von Niederlagen in Theorie und Praxis vor Augen, welche die linken Bewegungen erlitten haben: Von der internationalistischen Feststellung im Kommunistischen Manifest, dass das Proletariat kein Vaterland hat, ist derzeit nicht viel zu sehen. An die Stelle der Erkenntnis vom Kapitalismus als globalem Produktionsverhältnis in der kommunistischen Weltbewegung ist der davon losgelöste Wirbel um die Phänomene seiner neuesten Ausprägungen in der Anti-Globo-Bewegung getreten.
Kommunistische Nostalgie hilft dagegen nicht, und auch der alte Marx hat nicht auf alles eine Antwort. Unsere Versuche, in Theorie-Praxis die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse zu erfassen, sollten aber nicht hinter die bereits geleistete Kritik zurückfallen. Ein Beispiel: Aus unserer Praxis und Erfahrung in Deutschland hat sich eine Beschäftigung und theoretisch fundierte Kritik an der deutschen Nation und ihrem Antisemitismus entwickelt. Als gruppe demontage haben wir früher diese Kritik in Beziehung zu unserer Solidarität mit diversen nationalen Befreiungsbewegungen gebracht. Herausgekommen ist eine Kritik, mit der wir das Marxsche Denken aufgreifen und aus der Analyse der Bewegungen und den Bedingungen, unter denen sie sich in der weltweiten kapitalistischen Vergesellschaftung behaupten müssen, lernen, um wiederum Konsequenzen für die eigene Praxis zu ziehen. Nachzulesen ist das in unserem Buch "Postfordistische Guerilla".
Eine Konsequenz war für uns die Entwicklung des Begriffs vom kosmopolitischen Kommunismus. Kosmopolitisch, wegen unserer Kritik am Begriff des Internationalismus, der in sich immer noch den der Nation trägt, die wir als eine bürgerlich-kapitalistische Form der Subjektbildung und Verschleierung der gesellschaftlichen Widersprüche ablehnen. Zugleich ist der Bezug eine klare Absage an die in der Sowjetunion und den mit ihr verbündeten Ländern durchgeführten antisemitischen Kampagnen gegen Kosmopolitismus. Kommunismus, weil wir an die Tradition des Marxschen Denkens anknüpfen und an der Notwendigkeit von Organisierung festhalten. Das heißt unter anderem an der kollektiven Herausbildung revolutionärer Subjektivität.
Eine kosmopolitische kommunistische Organisierung ist weit davon entfernt, wirkungsmächtige Realität zu sein. Darum ist Hierlmeiers These fatal, die Internationale sei "in den politischen Kämpfen immer schon vorhanden". Das Event-Hopping des Antiglobalisierungs-Jet-Sets ersetzt keine Organisierung. Das Alltagsbewusstsein globaler Vernetzung ist weit vom einstigen Stand der ArbeiterInnenbewegung entfernt und in den Metropolen meist von romantischen Projektionen geprägt, mit denen sich von Abstiegsängsten geplagte MittelschichtlerInnen mit lateinamerikanischen Indigenas oder indischen BäuerInnen gemein machen.
Dass Hierlmeier seinen Aktionismus in den Zusammenhang einer revolutionären Praxis im Sinne Brechts rückt, tut dem verstorbenen Genossen mehr als unrecht; vergleichbar ist das mit den unzähligen Versuchen, dem Kommunisten Antonio Gramsci die Begriffe von Zivilgesellschaft und Kampf um Hegemonie zu entwinden, um auf die Revolution zu verzichten. Ein zentrales Motiv beider Denker war die Möglichkeit der Herausbildung kollektiver revolutionärer Subjekte vor dem Hintergrund des Scheiterns der Linken im Faschismus bzw. Nationalsozialismus. Jedes theoretisch-praktische Ringen um Emanzipation muss sich der historischen Erfahrung stellen, dass die Klassenlage das Proletariat nicht davon abhält, faschistisch werden zu können, und der Fortschritt der aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft nicht nur zum Kommunismus, sondern auch in die nationalsozialistischen Vernichtungslager führen kann.
Für eine emanzipatorische Praxis in Deutschland sind wir spätestens damit beim "deutschen Volk" angelangt. Wer, statt am Flussufer über die Strömung nachzudenken, in den Strom steigt, wird eben nicht nur nass. Das eigene Wollen und Können ebenso wie die gesellschaftlichen Verhältnisse entscheiden darüber, wer gegen den Strom schwimmt, sich im Fluss treiben lässt oder darin untergeht. In Deutschland sich nicht gegen Nation und Antisemitismus zu stellen, versenkt jeden emanzipatorischen Impuls sogleich in der erstbesten Stromschnelle.
Die Auseinandersetzung um Antisemitismus in der Linken in Deutschland ist ein weiteres Beispiel für Versuche, eine emanzipatorische Theorie-Praxis zu entwickeln. Die praktische Erfahrung mit Antisemitismus in der Linken nehmen wir zum Ausgangspunkt theoretischer Arbeit, die wiederum zu einer veränderten Praxis führt. Dafür beschäftigen wir uns mit den strukturellen Verbindungen von Antisemitismus und Kapitalismus sowie deren spezieller Ausprägung in der deutschen Gesellschaft und den Formen des Antisemitismus, die aus dessen Hineinwirken in die Linke resultieren.
Aus Anlass des "Hamburger Fahnenstreits" luden wir im letzten Jahr zu einem "offenen Abend". Daraus entwickelte sich der Versuch, mit einer "Hamburger Erklärung gegen Antisemitismus" (siehe www.hega.de.tf bzw. www.gruppe-bricolage.org) einen Minimalkonsens gegen Antisemitismus in der Hamburger Linken zu verankern und damit einen Raum zu öffnen, um linke Theorie und Praxis vorantreiben zu können. Dabei mussten wir die Erfahrung machen, dass ein Teil der Linken lieber den Kopf in den Sand, steckt als sich klar zu positionieren, während antiimperialistische Linke die Kritik für eine Zumutung halten und ein kleiner Teil aus dem antideutschen Spektrum auf abgrenzender Polemik besteht.
Wir führen unsere kleinen kritischen Eingriffe in das Geschehen an, weil wir uns in Anbetracht der schwachen Linken in Deutschland die Entwicklung emanzipatorischer Theorie und Praxis derzeit nur als eine Form radikaler Bastelarbeit vorstellen können: in kleinen Schritten versuchen, eine bessere Grundlage zu schaffen, für den von uns nach wie vor angestrebten revolutionären Kampf um die radikale Aufhebung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist.
Bastelnd lässt sich das Anliegen der Gruppe sinistra! (48/05), einer auf Identität und Subjekt zielenden verdinglichenden Perspektive einen "integralen Kommunismus" entgegenzuhalten, der um die Verschiebung von Kräfteverhältnissen kämpft, mit Behrens' Forderung nach einer emanzipatorischen Politik der "Befreiung zu uns selbst" verbinden. Die zu verschiebenden Verhältnisse treiben die Subjektivitäten hervor, nicht als fixierte, sondern als höchst flüchtige Zustände. Die Widersprüchlichkeiten dieser Subjektivitäten gilt es durch emanzipatorische Verschiebungen als subversives revolutionäres Potenzial zu nutzen. Nation und Antisemitismus verschließen solche Potenziale, kosmopolitische kommunistische Organisierung versucht, sie zu verstärken.

Erschienen in: jungle world nr. 3/2005
 
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